Re-Use und Second Hand – Teil 2

von | Apr 9, 2024 | Allgemein, Fachkräfte, Interview, Second-Hand

Mehr als nur Verkaufen – worauf es bei der Förderung von Mitarbeitern ankommt

Im ersten Teil unserer 2-teiligen Reihe haben wir einen Blick auf das Thema Nachhaltigkeit geworfen und warum Gebrauchtwaren ein besseres Image brauchen. Teil 2 beschäftigt sich mit dem Motor, der die Kreislaufwirtschaft am Laufen hält: den Mitarbeitern und warum es nicht damit getan ist, einfach nur Waren an den Mann (oder die Frau) zu bringen.

Im Gespräch mit Sabine Rolf, Geschäftsführerin von Re-Use Deutschland e.V. und Rita Katharina Biermeier, Gründerin und Geschäftsführerin von RKB sales trainings.
Recycling

Wie steht es denn um die Fachkräfte im Second-Hand-Sektor?

Sabine Rolf: Wir sind ein Zusammenschluss von Second-Hand-Kaufhäusern – Sozial- und Gemeinwohl orientiert. Das heißt, diese Kaufhäuser haben oft mit einem karitativen Hintergrund angefangen. Alle kennen die Kleiderkammern vom Roten Kreuz usw. In den 80er Jahren gab es eine hohe Arbeitslosigkeit, da haben sich diese Gebrauchtwarenhäuser oft gegründet, um Beschäftigungsmaßnahmen im Umweltschutz durchzuführen – so auch die meisten Kaufhäuser, die bei uns Mitglied sind. Inzwischen gibt es gar nicht mehr so viel Arbeitslosigkeit, im Gegenteil: Man kann ja von einem Kräftemangel sprechen und demzufolge hat sich das natürlich im Re-Use niedergeschlagen. Wir müssen zunehmend sehen, dass wir aus anderen Quellen unsere Finanzierung stemmen. Das ist ein Wandel in der Re-Use-Landschaft, der sich da gerade vollzieht, und das ist z.B. etwas, das wir aktiv unterstützen.

Was zeichnet denn die Arbeit im Second-Hand-Bereich aus?

Rita Katharina Biermeier: Eine Anmerkung zum Thema Fachkräftemangel: Wir haben zwar ein Defizit, aber noch keinen klaren Mangel in dem Bereich. Ich habe mich vor kurzem mit einer Mitarbeitenden aus einem Re-Use Kaufhaus unterhalten, die mir folgendes gesagt hat: Ich arbeite hier, weil ich selbstständig arbeiten darf, weil mir so viel übertragen wird, ich darf meine Ideen mit einbringen, ich darf mich ausprobieren – das sehe ich auch unmittelbar am Ergebnis und am Umsatz. Ich darf Fehler machen, ich darf mit unterschiedlichen Menschen zusammenarbeiten, ich darf Produkte verkaufen, die es sonst nirgendwo gibt. Es war so schön, wie sie das erzählt hat.

Wenn ich das in eine Stellenbeschreibung zusammenfassen würde, was im Re-Use-Bereich geboten wird: Selbstverwirklichung, selbstständiges Arbeiten, Förderung, Wertschätzung und eine leistungsgerechte Bezahlung.

Wie kommt man denn an neue Fachkräfte?

Sabine Rolf: Da sind wir, glaube ich, noch mehr in der Problemstellung als in den Lösungsansätzen. Bislang hat oft das Jobcenter die Menschen zugewiesen, die dann in den Betrieben arbeiten mussten. Es kommen aber nicht mehr so viele Zuweisungen oder die Menschen, die zugewiesen werden, sind erheblich beeinträchtigt durch z.B. psychische Probleme oder auch körperliche Einschränkungen. Da kann man gar nicht unbedingt davon ausgehen, dass sich um eine Arbeitskraft handelt, auf die man voll zählen kann. Wir sind eben gerade in einer Umstellung, dass wir die Basis-Mannschaft sozusagen frei finanzieren müssen, und uns da den Finanzierungsmix nochmal genauer anschauen müssen in unseren Kaufhäusern.

Rita Katharina Biermeier: Ich kenne das, wir haben während meiner Mitarbeit in Second-Hand-Betrieben auch immer Mitarbeitende gesucht. Wir haben dann an Stellenausschreibungen gefeilt und uns gefragt, wie wir dadurch Mitarbeitende gewinnen können. Daraufhin haben sich die ein oder anderen aus dem ersten Arbeitsmarkt beworben, die natürlich gehaltstechnisch einen gewissen Anspruch haben. Da muss ich sagen: Das ist nicht nur ein Job! Dort zu arbeiten ist viel mehr. Wenn dort jemand arbeiten möchte, rein nur aus monetären Anreizen, dann ist das nicht der richtige Job.

Sabine Rolf: Aber da sind wir gerade genau in der Schere – durchweg alle haben Probleme, Menschen zu finden. Und es ist ja auch nicht so, dass wir unter der Grenze bezahlen, so ist das auf keinen Fall. Für mich gehört es zu diesem Narrativ „Neu ist gut und Alt ist arm“. Da wird leicht eine Armutsmentalität konnotiert in dem gebrauchten Bereich, mit der wir in diesem Feld ständig in Berührung sind.

Wie lassen sich neue oder bestehende Mitarbeiter fördern?

Sabine Rolf: Das ist bei uns sehr ambivalent. Bei den Mitarbeitenden handelt es sich zum Teil um eine bildungsferne Klientel, dass keine guten Schulerlebnisse gemacht hat. Bei den Themen Qualifizierungsmaßnahme oder Weiterbildung kommt da auch schnell vielleicht Angst oder Abneigung auf. Gleichzeitig ist das aber auch eine Wertschätzung und eine Anerkennung der Leistung und das Angebot, weiter gefördert zu werden. Wir setzen auch ganz stark auf positive Erfahrung, die wir auch in unseren Online-Schulung versucht haben zu vermitteln. Weil es hier vielleicht auch eine Distanz gibt, in der diese Schulung noch nicht so nahe an einen ran kommt und man sich erst einmal davon überzeugen kann, dass es Spaß macht, dass es interessant ist, dass es genau um das geht, was ich jeden Tag mache und dass es auch inspirierend sein kann, mir Energie geben kann.

Rita Katharina Biermeier: Da gebe ich dir Recht, Sabine! Am Anfang war natürlich eine gewisse Skepsis da. Auch ich hatte Respekt davor, und mir die Frage gestellt: Wie offen wird diese besondere Zielgruppe für Online- Schulungen sein? Heute darf ich sagen, da bin ich sehr positiv überrascht worden: Die Teilnehmenden haben keine Hemmschwelle gezeigt und mich regelrecht mit Fragen im und nach dem Training überschüttet.

Der Vorteil ist, dass wir sehr kurze und wiederholende Lerneinheiten haben und den Teilnehmenden so die Möglichkeit bietet, zwischen den Lerneinheiten das Gelernte auf der Fläche anzuwenden. Hin und wieder tauchten während der Umsetzung am POS-Fragen auf. Dann habe ich als Trainer auch die Chance, bei der nächsten Lerneinheit auf konkrete Fragestellungen, die den Teilnehmenden vorher nicht bewusst waren, gezielt einzugehen. Wir lernen alle in der Wiederholung und mein Anspruch und Ziel ist, für die Nachhaltigkeit der Trainingsinhalte zu sorgen.

Secondhand Geschäft Mitarbeiter

Wie lässt sich das Kundenerlebnis nachhaltig verbessern? Was war denn der Ansatzpunkt für die Mitarbeiterschulungen?

Rita Katharina Biermeier:  Ich komme aus dem klassischen Einzelhandel und konnte mir darunter zuerst gar nichts vorstellen. Deswegen habe ich damals zu meinem Kunden ZAK (Zweckverband für Abfallwirtschaft) in Kempten gesagt: ich schule sehr gerne die Mitarbeitenden in den Gebrauchtwarenhäusern. Dafür ist für mich auch nach 30 Jahren Einzelhandelserfahrung die Grundvoraussetzung, das ganze Thema Re-Use und Second-Hand-Kaufhaus zu begreifen, weswegen ich anbot, für eine gewisse Zeit vor Ort mitzuarbeiten. Ich habe dort zunächst drei Wochen in allen Abteilungen mitgearbeitet, um das gesamte Konzept zu verstehen. Mir war wichtig, ein individuelles Trainingskonzept zu schreiben und eben nicht meine bisherigen Trainings einfach nur auf die Re-Use Gebrauchtwarenhäuser „überzustülpen“?

Ich habe dann am ersten Tag schon festgestellt, dass das auch nicht möglich ist (lacht). Die Arbeit war sehr spannend und ich hatte eine wunderbare Zeit. Geplant war ein Verkaufstraining, das war es am Schluss jedoch weniger, sondern es ging dann erst einmal „nur“ um die Basis Freundlichkeit: Kunden begrüßen, Präsenz zeigen, Kunden wahrzunehmen und Kunden Unterstützung anzubieten – das waren so die Basics. Im Anschluss haben wir festgestellt, dass die Trainingsinhalte auch weitergegeben werden müssen, also habe ich auch mit den Führungskräften vor Ort im Einzelcoaching intensiv gearbeitet. Aus den drei Wochen ist dann ein halbes Jahr geworden.

Sabine Rolf: Das Training ist ja sozusagen auch ein Investment. Ich hatte ja vorhin den Kräftemangel angesprochen, den gibt es bei uns natürlich auch. Mein Vorstandskollege z.B. sagt immer, dass, wenn ich einen guten Menschen habe – auch wenn der vielleicht keine Ausbildung hat – aber dann muss ich den unbedingt behalten. Wie ich z.B. investieren kann, ist, dass ich diesem Mitarbeitenden Qualifizierung anbiete.

Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen RKB und Re-Use?

Rita Katharina Biermeier: Das kam tatsächlich erst später – zuerst war da ja meine Zusammenarbeit mit ZAK. Sabine Rolf hat mich angesprochen, dass sie von mir gehört hat und so hat sich die Zusammenarbeit weiterentwickelt. Wir haben uns dabei Stück für Stück herangehangelt, was könnte denn jetzt tatsächlich ein Bedarf sein und wo sind die Herausforderungen bei den Mitarbeitenden und den jeweiligen Führungskräften. Dabei hat mir die intensive Zusammenarbeit mit ZAK im Vorfeld unglaublich viel geholfen. Durch die Schulungen in den drei unterschiedlichen Gebrauchtwarenhäusern zu den Themen Verkauf, Führung, Teamentwicklung und Visual Merchandising fühlte ich mich regelrecht schon als Mitarbeiterin für dieses Unternehmen. Die Mitarbeitenden und auch die Kunden sind mir in dieser Zeit besonders an´s Herz gewachsen.

Sabine Rolf: ZAK ist eines unserer Mitglieder und daher kam die Empfehlung für Frau Biermeier. Wir haben z.B. gesehen, dass aus allen Häusern das Thema Diebstahlprävention ganz aktuell ist. Das haben wir dann angeboten und es haben sich kaum Leute angemeldet. Ich glaube, das ist ein sehr fragiles Thema – da geht es dann auch um die Mitarbeiter, hausinterne Diebstähle – da weiß ich nicht, ob die Unternehmen dafür überhaupt schon bereit sind. Wie reagiert man darauf? Da möchte ich auch Rita in dem, was sie sagt, unterstützen: Wir haben uns da rangetastet. Das Führungskräftetraining ist glaube ich ein echtes Thema – was macht ein Team aus und wie verhalte ich mich den gegenüber anzuleitenden Personen. Und dann eben noch das Verkaufstraining.

Was bedeutet das für Unternehmen, die Second Hand als Arbeitgeber betreiben – worauf stellen die sich da ein? Was gibt es für Faktoren, die sie anders machen können?

Sabine Rolf: Ich würde sagen diese Mischung aus einer professionellen Orientierung, aber gleichzeitig die Unterstützung zu bieten für diese Schwächen – oder wenn man es nicht Schwächen nennen will, das anders Aufgestellte. Also dass das Soziale eine sehr starke Komponente ist, die durch Coaching begleitet wird. Die Anleiter müssen in der Lage sein, z.B. mit Alkohol am Arbeitsplatz und solchen Themen umzugehen. Im Grunde ist es so: Wenn es in einem normalen Betrieb heißt, das wars jetzt, da fängt es bei uns eigentlich erst an.

Was macht gute Verkäuferinnen und Verkäufer aus?

Sabine Rolf: Eine gute Verkäuferin oder ein guter Verkäufer ist für mich jemand, der mich sieht, aber checkt, ob ich Beratung brauche oder nicht. Jemand, der mich kompetent beraten kann, der auch mal widersprechen kann, mit dem also ein Dialog stattfindet. Das wäre für mich eine gute Verkaufskraft – und dann komme ich auch immer wieder. Gute Verkäuferinnen und Verkäufer haben Spaß an der Arbeit, sie sind irgendwie am richtigen Fleck und wollen nicht irgendwo anders sein.

Rita Katharina Biermeier: Ich habe eben kurz überlegt. Für mich gibt es immer zwei Faktoren, die entscheidend sind: Fachwissen ist die Grundlage, die Persönlichkeit ist das, was verkauft und die Kunden begeistert und demnach langfristig bindet. Wenn ein Mitarbeitender eine gute Einstellung hat, dann ist der Erfolg meiner Schulung garantiert.

Insbesondere bei Re-Use macht für mich ein guter Mitarbeitender aus: Jemand, der menschlich und nicht wertend ist, sich für die Kunden ernsthaft interessiert, jederzeit seine Unterstützung anbietet und stolz darauf ist, ein Teil von Re-Use zu sein.

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